Zwischenerkenntnisse aus der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“
Berlin, Juni 2024. Wie lassen sich Orte schaffen, die gemeinwesenorientiert sind und wirtschaftlich funktionieren, die auf ihr Umfeld positiv ausstrahlen, die Menschen zusammenbringen und Eigeninitiative unterstützen – in Innenstädten, Stadtteilzentren, Wohnquartieren? Welche Formen der Kooperation und welche Strukturen sind notwendig, damit Akteure und Initiativen in der Stadtentwicklung an einem Strang ziehen? Damit beschäftigen wir uns bei der Vernetzungsinitiative „Gemeinsam für das Quartier“, die das Bundesbauministerium im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik fördert. Derzeit liegt unser Fokus auf den Bereichen Transformation von Großimmobilien, Innenstadtentwicklung und kultureller Stadtentwicklung in Wohnquartieren. In Stadtlabor-Formaten begleiten wir praktische Beispiele und leiten bundesweite Empfehlungen ab. Zuletzt haben wir bei unserem Fachworkshop Mai 2024 gemeinsam mit dem Projektentwickler UTB in der Alten Mälzerei in Berlin-Lichtenrade gesehen, wie eine private Immobilienentwicklung die Aktivierung von Stadtteilzentren unterstützen kann. Bei einem Beteiligungsworkshop im April in Offenbach am Main, den wir gemeinsam mit Stadtplanungsamt und Stadtbibliothek umsetzten, zeigte sich, wie wichtig es ist, Impulse von Initiativen und Anwohner:innen aufzugreifen, wenn es darum geht, eine leerstehende Kaufhausimmobilie zum Bibliotheksstandort umzugestalten. Zudem haben wir mit vier kommunalen Berliner Wohnungsunternehmen Anfang des Jahres diskutiert, welche Strukturen kulturell-kreative Aktivitäten in Wohnquartieren befördern können. Überall wurde offenbar: Ergebnisoffenheit, Flexibilität, Kompromisse sowie Vertrauen in Prozesse und Mitbeteiligte sind der Schlüssel, wenn gemeinwesenorientierte Vorhaben zum Erfolg für Quartier und Akteure führen sollen.
Berlin-Lichtenrade: Private Entwicklung für gemeinwesenorientierte Nutzung
In Berlin-Lichtenrade, wo wir am 13. Mai 2024 zu Gast waren, konnte die gemeinwesenorientierte Transformation der Alten Mälzerei Mehrwerte für den Stadtteil schaffen: Eingebettet in das Städtebauförderprogramm „Lebendige Zentren und Quartiere“ haben der Eigentümer und Investor Thomas Bestgen und seine UTB Projektmanagement GmbH zusammen mit dem Bezirk Tempelhof-Schöneberg und dem Planungsbüro die raumplaner, die als Gebietsbeauftragte des Förderprogramms agierten, die Alte Mälzerei zum Quartierszentrum für eine gemeinwohlorientierte Nutzungsmischung entwickelt. Heute wird das denkmalgeschützte Gebäude zu zwei Dritteln vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg gemietet, u.a. gibt es eine Stadtteilbibliothek und ein Kindermuseum. Auch ein Café und ein Allmenderaum befinden sich im Haus. Ergänzt wird die Entwicklung durch Mietwohnungsneubau zu großenteils gedeckelten Preisen und Quartiersangebote wie ein Schwimmbad. Unterstützung erhielten die Bauherren von lokalen Initiativen wie dem Verein Lichtenrader ReWIR e.V., die bis heute Verantwortung für Aufgaben im Quartier übernehmen.
Mehr Effizienz durch Vertrauen
Zum Erfolg beigetragen hat die enge Zusammenarbeit von Thomas Bestgen und dem Bezirk im Rahmen des Programms „Lebendige Zentren und Quartiere“. Dies führte zu einer Verkürzung von Planungs- und Genehmigungszeiten. Durch den Bezirk als Ankermieter und die Nutzung der Städtebaufördermittel für den Innenausbau der Alten Mälzerei konnten dort günstige Mieten angeboten werden, gemeinwesenorientierte Nutzungen werden quersubventioniert. Das Planungsbüro die raumplaner übernahm eine Mediatorenrolle und schuf Vertrauen zwischen Investor und Zivilgesellschaft. Letztere war von Beginn an in die Prozesse involviert und fühlt sich für das Viertel verantwortlich. Dadurch gibt es wenig Leerstand und Vandalismus.
Prozessoffenheit und keine hohe Renditeerwartung
Von Vorteil war die Prozessoffenheit des Investors: Er griff Anliegen des Bezirks, des Denkmalamts und Nutzungsideen der Quartiersinitiativen auf. Dies ermöglichte eine auskömmliche Betreibung der Immobilie ohne hohe Renditeerwartungen sowie Akzeptanz in der Bevölkerung. Bestgen vertraute zudem darauf, dass nach der Absicherung durch die bezirklichen Ankernutzungen der Rest des Gebäudes über lokale Akteure bespielt werden konnte. Auch nach der Entwicklung bleibt er Bestandshalter der Alten Mälzerei.
Offenbach: Vom Kaufhaus zur Stadtbibliothek als Community Center
Kommen wir von der Mälzerei zum Kaufhof, von Berlin nach Hessen: Eine offene Bibliothek im Herzen der Innenstadt, zum Austausch, Lesen, kreativ sein. Dies ist eine Vision, die die Stadt Offenbach am Main in die Tat umsetzt und für die sie zusammen mit „Gemeinsam für das Quartier“ im April 2024 Impulse von Initiativen und aus der Zivilgesellschaft eingeholt hat. Durch den Umzug der Stadtbibliothek in das Gebäude des ehemaligen Kaufhofs in der Fußgängerzone, welches entsprechend umgebaut werden soll, transformiert die Stadt eine leerstehende Großimmobilie und etabliert einen Dritten Ort. Eingebettet ist die Gestaltung in die Umsetzung des Innenstadtkonzepts „Offen denken“.
Niederschwellig, inklusiv und für alle offen
Ziel der Veranstaltung am 18. April 2024 in Offenbach war es, Nutzungsanforderungen für die Raumkonzeption der neuen Bibliothek einzuholen und Kooperationspartner:innen zu identifizieren. Die eingeholten Ideen zielten darauf ab, einen vielseitigen, niederschwelligen Ort zu schaffen – für alle Kulturen, Generationen und sozialen Schichten. Es gab eine große Nachfrage nach kreativen Veranstaltungsformaten sowie Bildungs- und Lernmöglichkeiten. Die Innenstadtlage, die Zugänglichkeit und die Möglichkeit zur Vernetzung machen die geplante Bibliothek besonders attraktiv. Es wurde deutlich: Wichtiger als ein perfekt durchstrukturierter Prozess in der Projektentwicklung sind Wertschätzung sowie eine offene Kommunikation.
Bewohnende empowern: Potenziale der kulturell-kreative Wohnquartiersentwicklung
Wertschätzung und Empowerment sind auch bei unserem dritten Themenkomplex wichtig: Gerade Großwohnsiedlungen haben bis heute oft mit sozialen Problemen oder einem schlechten Image zu kämpfen. Wenn es darum geht, die Entfaltungsmöglichkeiten der Bewohner:innen sowie ihre Identifizierung mit ihrem Wohnstandort zu erhöhen und den Zusammenhalt zu steigern, haben kulturell-kreative Angebote großes Potenzial. Dieses wird bislang selten ausgeschöpft. Gemeinsam mit den Berliner Wohnungsunternehmen GESOBAU, degewo, der Stiftung Berliner Leben (GEWOBAG) und der Stiftung Stadtkultur (HOWOGE) haben wir von der Vernetzungsinitiative Anfang 2024 die verschiedenen Ansätze diskutiert, mit denen derzeit kulturelle Stadtentwicklung in Wohnquartieren praktiziert wird – etwa durch Stiftungen, Kooperationsverträge oder neue Strukturen, die das Eigenengagement im Viertel befördern und kanalisieren sollen. Die Ergebnisse fließen in ein Positionspapier ein, das demnächst veröffentlicht wird. Zudem werden wir im Februar 2025 zusammen mit dem vhw in Berlin eine Konferenz zum Thema „Kultur- und Kreativarbeit durch Wohnungsunternehmen in Wohnquartieren“ organisieren, die bundesweit die Wohnungswirtschaft auf die Möglichkeiten dieses Bereichs aufmerksam machen soll.